Jazzpianist wird besinnlich
Nachdem die Ohren auf dem Weg durch die Oberstadt ausgiebig mit Jingle und Bells malträtiert wurden, ist die ist die Ruhe in der Lutherischen Pfarrkirche ein Wohltat. Bis auf den letzten Platz drängen sich die Zuschauer auf den Kirchenbänken, um einem Weihnachtskonzert der besonderen Art zu lauschen.
Ein Mann, ein Flügel und Weihnachtslieder – klingt erstmal banal und wird oft ziemlich schlimm kitschig. Als sich auf der Bühne im imposanten Chorraum etwas rührt, herrscht sofort Stille, so dass man eine Schneeflocke fallen hören könnte.
Der norwegische Starpianist Bugge Wesseltoft gilt zu Recht als einer der bedeutendsten Künstler der zeitgenössischen Jazzszene. Gerne fusioniert er klassischen Jazz mit elektronischer Musik zu einer explosiv-groovenden Mischung. In der Pfarrkirche sitzt er alleine am Flügel und spielt Weihnachtslieder. Einfach nur Weihnachtslieder wäre natürlich stark untertrieben. Neben Klassikern, wie „O little Town of Bethlehem“ oder „Stille Nacht“, sind auch viele hierzulande ziemlich unbekannte skandinavische Stücke dabei.
Wesseltoft ist ein Meister der Reduktion. Er spielt nicht einfach Weihnachtsstücke, vielmehr lässt er ruhig und unaufdringlich seinen Ideen freien Lauf. Gekonnt entführt es die Zuhörer in die Welt der leisen Tonfolgen. Oft verharrt er bei entschleunigten und jazzigen Harmonien, gibt jedem einzelnen Ton den nötigen Raum zur Entfaltung.
Gespannt lauschen die Zuschauer, wie spielerisch und feinsinnig Wesseltoft am Flügel experimentiert. Er durchdringt die Stücke, die er interpretiert, entwickelt sie weiter, reduziert sie, dass man mit Spannung und Vorfreude den nächsten Ton erwartet. Regungslos verharrt er unter dem großen Weihnachtsstern, der über dem Altar schwebt. Der Chorraum ist festlich in gelbes und blaues Licht getaucht. Niemand traut sich, die Stille, das Ausklingen des letzten Tones zu durchbrechen. So individuell Wesseltofts Spiel auf den ersten Hinhörer erscheinen mag, er findet immer wieder zu ursprünglichen weihnachtlichen Melodie zurück.
Als er nach einer Stunde die Bühne verlässt, ist es aus mit der Stille. Minuten langer Applaus und begeistertes Fusstrampeln holen den Künstler nochmal zurück. Gemeinsam mit dem Publikum stimmt er „Stille Nacht“ an.
Wesseltofts weihnachtliche Interpretationen sind eine Gnade für die Ohren, manche sagen, wahrscheinlich die einzige Weihnachtsmusik, die man noch hören kann. Ist natürlich Geschmacksache, das Konzert in der Lutherische war in jedem Fall eine gigantisch sinnliche Weihnachtsfeier, die in den nächsten vierzehn Tagen nur noch schwer zu übertreffen sein wird.