Schluckspecht (UA)

nach dem Roman von Peter Wawerzinek

Hätte ich besser auf Tante Luci gehört, es wäre nicht so schlimm mit mir gekommen. Hätte ich die Augen fest verschlossen und meine Nase gut abgedichtet, wie es die Delphine tun, wenn sie abtauchen, und nicht an Tante Lucis Likörglas gerochen, als Tante Luci es mir unter die Nase hielt, ich wäre vielleicht davongekommen.

Mit seinem Roman »Rabenliebe« und dem Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises 2010 meldete sich der in Berlin lebende Autor Peter Wawerzinek furios zurück im deutschen Literaturbetrieb. Seine Rückkehr war ein Kraftakt nach Abstürzen und Exzessen, nach seinem persönlichen Kampf mit dem Alkohol. In »Rabenliebe« beschreibt Wawerzinek die Geschichte seiner Suche nach der eigenen Mutter, die ihn als Zweijährigen in Mecklenburg-Vorpommern zurückließ, um »rüberzumachen«. Mit »Schluckspecht« widmete er sich seinem zweiten großen autobiografischen Thema: dem Trinken.

Brutal aus der Nähe gefilmt

Der alleingebliebene, zurückgelassene Ich-Erzähler beginnt mit dem Schnüffeln am Rumtopf als Kind, in der Pubertät folgen Eierlikör, Bowle, selbstgebrauter Most. Dann der Umzug in die Großstadt und Saufen bis zum Exzess. Jede Nacht werden Nöte und Existenzfragen im Schnaps ersäuft, er trifft Zechkumpane, Co-Trinker und andere verlorene Gestalten, ein wahres Panoptikum der Verdammten. Der Übertritt über die Promillegrenze wird zum Lebensinhalt, bis es nicht mehr weitergeht. Der wache Blick fährt wie eine Kamera meinen Wohnbereich ab. Über die Nachtleuchte, die umgefallen ist. Über den lädierten Schirm. Über Glas, Splitter, Spitzer, Papier, Speisereste, Blut oder Erbrochenes. Die Flecken auf der Wange. Brutal aus der Nähe gefilmt, wenn sie über mir und meinem aufgedunsenem Gesicht, der Fratze ist.

Wie die Amis damals Hussein in den Rachen gefilmt haben. So legt sich kein Held zu Bett. So wirft Abfall sich in die Ecke. Der Kampf gegen die Sucht wird zur Überlebensfrage, doch wie der Autor einst selbst, schafft es auch der Romanheld, sich aus dem Sumpf des Saufens zu befreien. Dabei schreibt Wawerzinek schonungslos, er entblößt und entblödet sich. Seine Sprache buhlt dabei keineswegs um Mitleid, klingt nicht verbittert. Sie ist heiter und kindisch, voller Wortspiele, Poesie und Naivität. Die Inszenierung folgt seinem ureigenen Zugang zur Liebe zum Suff. Wir zeigen eine tragik-komische Performance voller Wehmut, Hässlichkeit, Humor und Absurdität.

Hessisches Landestheater Marburg