Atmen

von Duncan Macmillan 
Deutsch von Corinna Brocher

Wenn dir der Planet wirklich wichtig ist, wenn dir die Zukunft der Menschheit wirklich wichtig ist, dann verzichte auf Kinder, sagt die Frau, Ach ja?, sagt der Mann. Sie stehen an der Kasse bei Ikea und wünschen sich ein Kind und können kaum darüber reden. Sie sind überfordert, denn zu verflochten scheinen privates Glück und globale Verantwortung.

Zuviel muss man zur rechten Zeit bedenken: bald acht Milliarden Menschen und noch ein Kind, das Rohstoffe verbrauchend zum Klimawandel beiträgt. Dann lieber doch die Adoption. Der rechte Zeitpunkt? Liegt er vor der Promotion oder danach? Gerade die gut gebildeten, aufgeklärten Menschen, die Fairtrade kaufen, den Müll trennen, das Schicksal des Planeten fest im Blick, sollten darauf verzichten, durch Vermehrung zumUntergang der Welt beizutragen. Und: Ändert ein Kind nicht alles? Freizeit und Beruf? Vielleicht haben die klügsten, umsichtigsten, informiertesten Paare keine Kinder, aber ist es nicht der Sinn des Lebens selbst: Nachkommenschaft, die den eigenen Tod überdauert? So wird das biologisch Einfache in der modernen, reichen Welt ein Problem. Doch es gelingt; die tiefen Wünsche und Gefühle können sich behaupten gegen den modernen, urbanen Diskurs. Sie wird schwanger und verliert das Kind. Der Verlust führt zur Trennung. Jahre später treffen sie sich wieder. Erneute Schwangerschaft. Das Kind wächst wohlbehalten auf. Die Zeit verrinnt, er stirbt, das Kind besucht sie ab und an im Altenheim.
Wie in Zeitlupe dehnt sich im Drama die Zeit, bis Mann und Frau sich entscheiden, beschleunigt schreitet sie zum Ende. Ein Sinnbild für unsere Gegenwart?
In einem zeitlich raffiniert verschachtelten Dialog, der zwischen zwei Repliken manchmal ganze Jahre überspringt, verhandelt Duncan Macmillan in »Atmen« von der Wiege bis zum Grab leichthändig die großen Daseinsfragen.

Einfach nur kuscheln und für eine Weile die Klappe halten, ginge das?

Hessisches Landestheater Marburg